Aufbau eines Kompetenzzentrums für Landschaftsschutz in Energielandschaften

Die Windkraft-Industrialisierung unserer Landschaften, aber auch Biomasse und andere raumprägende Formen erneuerbarer Energiegewinnung fordern den geographischen Blickwinkel. Auf dieser Seite wird der Boden vorbereitet, um Energiewende durch eine Lobby für den Landschaftsschutz tragfähiger für Kulturlandschaft, Mensch und Natur zu gestalten und um ressourcenschonendere energiewirtschaftliche Optionen zu diskutieren.


Sonntag, 23. März 2014

Windenergie-Landschaft und Landschaftswahrnehmung

Eindrücke aus Mossautal im Odenwald - eine essayistische Annäherung

Von Michael Hahl

Am Freitag war ich in der Verbandsgemeinde Mossautal im südhessischen Odenwaldkreis. Ich besuchte erst die "Molkerei Hüttenthal", jene einst idyllisch gelegene kleinste Molkerei Hessens. Hier besah ich mir die vor einigen Monaten errichteten fünf Windkraftanlagen, wie sie sich hinter den Häusern auf dem bewaldeten Bergrücken oberhalb des Mossautals drehten. Es wehte ja ein starker Wind letzte Woche und die Rotoren der Anlagen, Typ Nordex N117 mit einer Nabenhöhe von 120 Meter und einem Rotordurchmesser von 117 Meter, waren in hektischer Bewegung.

Von der Molkerei aus war der Lärm der Windkraftanlagen, jetzt bei Tag und überdeckt von Autos und Alltagsgeräuschen, wenig zu hören. Aber ich konnte mir gut ausmalen, wie es hier und an den noch näher gelegenen Mossautaler Wohnhäusern an den Abenden, wenn bislang die Stille ins Land einkehrte, klingen würde. Die Bürgerinitiative "Gegenwind Mossautal" schrieb dazu, noch vor Errichtung der mittlerweile fünf Windenergieanlagen: "Belegt wird das durch aktuelle Schallmessungen vor Ort, die den Anforderungen eines Schlafzimmers entsprechen. Schalldruckmessungen vom 25.02.2012: U-Mossau, Ihrigstraße 48, 22:00h, 18-19 db(A); U-Mossau, Ihrigstraße 48, 18:55h, 24-26 db(A); U-Mossau, Eselskopf, 18:30h, 22-23 db(A). Ein Windpark würde diese Ruhe erheblich stören. Mit Lärmbelastungen bis zu 50 db von hörbarem Schall ist noch in den Siedlungen zu rechnen" - eine Prognose, die heute schon zur bitteren Wirklichkeit für die Anwohner geworden ist. Entscheidend für die subjektive Wahrnehmung und die gesundheitliche Beeinträchtigung ist die Differenz zwischen einem Ruhepegel (hier: nächtliche Stille) und einem Störpegel (hier: WEA in Betrieb).

Ich fuhr weiter, um näher an die Anlagen zu kommen. Bei Unter-Mossau bog ich in einen landwirtschaftlichen Fahrweg ein und sah die fünf Rotoren direkt vor mir. Bussarde und Rotmilane kreisten gefährlich nah - man befindet sich in einem europäischen Vogelschutzgebiet. Auch Schwarzstörche und Silberreiher wurden am Mossaubach dokumentiert. Wie groß ist die Chance der Jungvögel, die zuweilen mit weit über 200 km/h durch die Luft sausenden Blattspitzen der Rotoren zu überleben, wie viele Altvögel wird es in einem verhängnisvollen Moment treffen, unbemerkt von den Menschen, weil der Fuchs sich den unverhofften Leckerbissen schneller schnappt?

Nach Acker und Wiese beginnt der Wald und ich näherte mich weiter den Riesenwindflügeln, die über die Wipfel ragen. Im erinnerte mich gut an frühere Wanderungen, die ich in diesem Mossautaler Wiesen- und Waldgebiet erlebte; die kulturhistorischen Tafeltexte des hier verlaufenden "Drachenwegs" habe ich für die Gemeinde und den Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald erarbeitet. Ich mochte das Gebiet bisher sehr, diesen abwechslungsreichen Wechsel aus Wald, Bach und Offenlandschaft. Nun, beim Weitergehen, häuften sich die Einblicke, von denen aus die Rotorblätter zwischen den Bäumen zu sehen waren. Ich kam noch näher heran und landete schließlich auf der gut sechs Meter breiten Schottertrasse, die zwischen den Windkraftanlagen angelegt wurde wie eine naturfeindliche Waldautobahn. Ein einzelner Mountainbiker raste vorbei und grüßte.

Schließlich stand ich direkt vor einer der Maschinen. Es war Abend geworden. Eine Tageszeit, zu der ein frühlingshaftes Waldökosystem von der Stille - oder besser: vom Vogelgesang - eingenommen wird, normalerweise. Was hier derweil zu hören war, klang mehr nach einer großen Industrieeinrichtung. Nicht nur das laute, rhythmische Schwirren der mastlangen Rotorblätter, die mit gigantischer Geschwindigkeit im Takt die Abendluft durchschnitten. Immer wieder auch ein Knarzen und Knacken und Ächzen der Maschine, und dann ein anhaltend hoher, sirrender Ton, wie ein geisterhaftes Singen. Die Klangkulisse dieses allmählich düster werdenden Waldes, der Lärm der Rotorblätter und der Drehachse, erinnerte mich an eine Art Geisterschiff in irgendeinem surrealistischen Horrorfilm. Die roten Rundstrahlfeuer begannen aufzuleuchten.

Direkt hier, neben einer der Anlagen und an der breiten Versorgungstrasse, war der Wald deutlich wahrnehmbar unterbrochen, gestört, wirkte fragmentiert und auseinander gerissen. Vogelstimmen kamen wie von weit her, vom diffusen Maschinenlärm deutlich übertönt. Dieser Teil des Waldes war tot! Und mir wurde bewusst, dass auch jene Maschinen etwas Totes, etwas eisig Kaltes verkörperten, das in einem für mich erschreckenden Widerspruch zum Lebendigen des Waldes stand ...

Ich spürte nicht nur hautnah, sondern geradezu innerlich - die Nerven belastet, die emotionale Stimmung wie zerrissen, zunehmend gestresst und mit dem Gefühl einer derben Disharmonie -, wie sich das real anfühlen kann, was touristische Umfragen mindestens seit den 90ern sagen: dass technische Anlagen von den Menschen, die ein Naturerlebnis suchen, als signifikant störend wahrgenommen werden. Im Wandertourismus ist die Berücksichtigung landschaftlicher Stärken und Schwächen eigentlich längst zur Planungspraxis geworden. Für Windkraftrotoren dürfte ein solcher Störeffekt der sinnlichen Naturwahrnehmung in besonderem Maße zutreffen, wenn man die bisher ermittelten Forschungsergebnisse auf das Prinzip "Windenergie-Landschaft" übertragen kann; und warum sollte man das nicht können?

Nein, ich kann nicht wissen, mit welchen Empfindungen und Wahrnehmungen andere Menschen auf eine durch lärmende Großmaschinen ausgestattete Energielandschaft reagieren, wenngleich die bisherigen empirischen Untersuchungen klare Worte für solche Störungen finden. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein einstmals attraktives Wandergebiet durch Windenergie-Industrialisierung bei irgendjemandem, der auch nur einen "Restsinn" für die Schönheit der Natur in sich spürt, noch als erholsam, entspannend und belebend wahrgenommen werden könnte, als wertvoller Ausgleichsraum für den zivilisationsgestressten Menschen, der in der Natur Heimat und innere Verbundenheit sucht. - Die BI "Gegenwind Mossautal" schreibt auf ihrer Website: "Auf 292 Hektar zwischen den Gemarkungen Hiltersklingen, Unter-Mossau und Ober-Mossau sowie Reichelsheim-Erzbach und Rohrbach sollen bis ca. 30 Windkraftanlagen entstehen."

Sonntag, 16. Februar 2014

Windenergie-Industrialisierung der Wälder: Widerstreit der Werte


Windkraft im Wald: Ist dieses Konzept von "Energielandschaft" zukunftsfähig? Das Bild zeigt einen projektierten, kontrovers diskutierten "Windpark" im südlichen Odenwald, Baden-Württemberg. (Visualisierung: Fuckert)

Von Michael Hahl

Aktuell scheint ein denkwürdiger Wertewandel die Windkraftnutzung in Mittelgebirgen über den traditionell verankerten Natur- und Landschaftsschutz zu stellen - doch die ethische Gegenbewegung zu diesem lobbyistisch geprägten energiepolitischen Trend wird ebenfalls stark. Wenn neue Energiegewinnungsformen mit über Jahrzehnten gewachsenen ökologischen Idealen kollidieren, sind Fragen sozialer Implikationen sowie der Akzeptanz landschaftlicher Veränderungen und der damit verbundenen Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität unvermeidlich. Aus den gegenwärtigen Kontroversen könnte entweder eine beispiellose Industrialisierung des ländlichen Raums und mit ihm vieler naturnaher Waldgebiete entstehen, aber auch ein dynamisch aufkeimender "Naturschutz 2.0" und ein neues Zukunftsbewusstsein für den Landschaftserhalt sind derzeit (noch) denkbar.

Mit der gegenwärtigen Variation der Energiewende und insbesondere mit dem Wunschdenken einer Windkraftlobby, welche die Mittelgebirge und ihre Waldökosysteme geradezu "kolonisieren" möchte, wird ein empfindlicher Nerv getroffen: Hier entsteht eine spannungsgeladene Ambivalenz zwischen dem Hunger nach Energie und nach technisch bestimmtem Lebensstandard einerseits, scheinbar als "green deal" daherkommend, andererseits aber der menschlichen Empfindsamkeit für naturnahe Umweltbedingungen und Rückzugsräume sowie für die Störfaktoren, die den Landschafts-, Natur- und Artenschutz bedrohen. Dieser Widerstreit ist nicht zuletzt ein Thema der Mensch-Umwelt-Beziehung und fordert im Wesenskern der Problematik gerade auch den geographischen Blickwinkel heraus.

Doch es ist weit mehr als ein akademischer Elfenbeinturm, denn die Entwicklung ist rasant: Zielkonflikte, Wirtschaftsinteressen, Politikgerangel und konträre Wertevorstellungen schaffen geradezu soziale Unruhen. Althergebrachte Werte sind unsicher geworden, ein Ringen um ideologische Zugehörigkeit - irgendwo zwischen Naturschutz und so genanntem "Ökostrom" - hat begonnen. Ein Teil der Gesellschaft, gerade an den Schauplätzen der neuen "dezentralen" Energiegewinnung, also in den ländlichen Regionen, erfindet sich neu. Fronten verhärten sich, während die Positionen, auf die man sich jeweils beruft, immer sicherer werden. Aus dem Widerstreit der Werte wächst ein sozialer Konflikt um Ideale und Akzeptanz, um Ziele und Handlungsweisen, der in seiner Sprengkraft nicht zu unterschätzen ist.